Evidenz belegt Nutzen von Entscheidungshilfen - nun müssen sie in der Praxis ankommen

Mann vor Labyrinth

Ein aktualisierter Cochrane Review zu Entscheidungshilfen für Patient*innen liefert klare Belege für die Vorteile solcher strukturierten Informationsmaterialien gegenüber der üblichen Versorgung für ein breites Spektrum von Gesundheitsentscheidungen.

Passend zum kürzlich begangenen 30. Jahrestag der Gründung von Cochrane ist nun die Aktualisierung eines wegweisenden Cochrane Reviews erschienen, der seit seiner ersten Fassung aus dem Jahr 2003 die Evidenz zu „Entscheidungshilfen zur Unterstützung von Menschen, die vor Entscheidungen über eine Behandlung oder Vorsorgeuntersuchung stehen“ auswertet. In dieses fünfte Update ging nun die stolze Zahl von 209 Studien mit insgesamt 107.698 Teilnehmenden ein – fast doppelt so viele wie in die letzte Version aus dem Jahr 2017. Die systematische Übersichtsarbeit liefert klare Belege für die Vorteile der Nutzung von Entscheidungshilfen für Patient*innen, beziehungsweise Menschen, die sich über Früherkennungsuntersuchungen informieren möchten im Vergleich zur „üblichen Versorgung“. Dies gilt über ein großes Spektrum von Gesundheitsentscheidungen hinweg, von der Krebsvorsorge bis hin zu Entscheidungen über größere Operationen. 

Entscheidungshilfen sind spezielle Informationsmaterialien (z. B.  Broschüren, Webseiten oder Videos), die über allgemeine Gesundheitsinformationen hinausgehen.  Entscheidungshilfen ermöglichen einen schrittweisen Prozess: Sie machen die in Betracht gezogene Entscheidung explizit und bieten einen detaillierten, spezifischen und manchmal personalisierten Fokus auf Optionen und mögliche Ergebnisse, um die Betroffenen aktiv in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Dabei sollen sie die ärztliche Beratung nicht ersetzen, sondern ergänzen. So können sie zu einem Schlüsselelement an der Schnittstelle zwischen Evidenz und Entscheidung werden und dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Ein konkretes Beispiel, das auch in einer der im Review ausgewerteten Studien untersucht wurde, ist die Entscheidungshilfe „FERTIONCO“ zu Fragen der Fruchtbarkeit bei jungen Krebspatientinnen.

Der aktualisierte Review stellt überzeugend fest: Die Verwendung von Entscheidungshilfen führt bei Erwachsenen zu einer deutlichen Verbesserung ihres Wissens und einer genaueren Wahrnehmung von möglichem Nutzen und Risiko. Sie fühlen sich besser informiert und sind sich darüber klarer, welche Aspekte einer Entscheidung für sie am wichtigsten sind. Zudem zeigt der Review, dass solche Entscheidungshilfen den Anteil der Menschen erhöht, die mit dem Prozess der Entscheidungsfindung zufrieden sind und ihre getroffene Gesundheitsentscheidung später nicht bedauern. 

Dieser Cochrane Review hat eine lange Vorgeschichte und hatte bereits in früheren Versionen weltweit bedeutenden Einfluss. Er ist einer der am häufigsten zitierten Cochrane Reviews überhaupt und wird in mehr als 90 klinischen Leitlinien zitiert. Das jetzige Update bringt durch die zahlreichen neuen Studien eine weitere Steigerung der Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE für viele Schlüsselresultate mit sich, welche die Autor*innen nun fast durchgängig als „hoch“ einschätzen. So hat sich die Genauigkeit der Abschätzung des Effekts von Entscheidungshilfen deutlich verbessert. Die vorliegende Evidenz spricht damit eindeutig für den Einsatz von Entscheidungshilfen in der Patientenversorgung.

Trotz klarer Empfehlungen für die Verwendung von Entscheidungshilfen in vielen Leitlinien, seien diese noch nicht ausreichend in der Praxis angekommen, bemängeln die Autorinnen eines begleitenden Editorials in der Cochrane Library . Unterstützung und Schulung der beteiligten Gesundheitsfachkräfte seien erforderlich, damit diese Entscheidungshilfen zusammen mit ihren Patient*innen verwenden. Dies erfordere in der Praxis wahrscheinlich eine Anpassung organisatorischer Abläufe. Die Autor*innen des Editorials fordern, dass sich die Ergebnisse des Reviews zukünftig nicht nur in Leitlinien widerspiegeln, sondern dass Entscheidungshilfen endlich verstärkt Einzug in die Praxis halten.


Zum Review Entscheidungshilfen zur Unterstützung von Menschen, die vor Entscheidungen über eine Behandlung oder Vorsorgeuntersuchung stehen


Zwei Beispiele für Entscheidungshilfen von gesundheitsinformation.de des IQWiG:

Schultersteife: Welche Behandlungsmöglichkeiten habe ich? 
Myome: Welche Behandlungsmöglichkeiten habe ich?

Weiteres Beispiel der University of Cambridge: 

Behandlungsoptionen bei Brustkrebs