Kann man mit einer glutenreduzierten oder glutenfreien Ernährung Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems vorbeugen? Ein kürzlich veröffentlichter Cochrane Review eines Teams unseres Partnerinstituts am Uniklinikum Freiburg befasst sich mit dieser Frage. Er kommt zu dem Schluss, dass sich aus der derzeitigen Studienlage keine eindeutige Wirkung auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit ablesen lässt.
Sich glutenarm zu ernähren oder ganz auf das in verschiedenen Getreidesorten wie Weizen enthaltene Kleber-Eiweiß zu verzichten, wird immer beliebter: Umfragen zufolge geben bereits vier Prozent aller Deutschen an, sich glutenfrei zu ernähren. Für Menschen mit Zöliakie ist der Verzicht auf Gluten tatsächlich eine medizinische Notwendigkeit. Diese durch Gluten ausgelöste Autoimmunkrankheit des Dünndarmes trifft allerdings nur rund ein Prozent der Bevölkerung.
Aber auch viele Menschen, die eigentlich nicht auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten müssen, versprechen sich davon positive Effekte auf Gesundheit und Wohlbefinden. Gluten wird mit negativen gesundheitlichen Auswirkungen in Verbindung gebracht, insbesondere mit Problemen des Magen-Darm-Trakts wie Durchfall oder einer ungenügenden Aufnahme von Nährstoffen.
Ist glutenfrei wirklich gesünder?
Gleichzeitig gibt es Bedenken, dass eine glutenfreie Ernährung nicht ausgewogen ist, aufgrund des geringeren Konsums von Vollkornprodukten und weil viele glutenfreie Produkte relativ viel Fett, Zucker und damit Kalorien enthalten. Folge einer unausgewogenen Ernährung können auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein.
Ein Team von Cochrane-Autor*innen um Christine Schmucker vom Institut für Evidenz in der Medizin am Uniklinikum Freiburg hat nun den Zusammenhang zwischen einer glutenreduzierten bzw. glutenfreien Ernährung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen unter die Lupe genommen.
Zentrale Ergebnisse des Cochrane Reviews
„Die derzeit vorliegende Evidenz zeigt keinen klaren Zusammenhang zwischen glutenarmer Ernährung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, weder für ein erhöhtes, noch für ein vermindertes Erkrankungsrisiko“ sagt Erstautorin Christine Schmucker. Allerdings habe sich ein möglicher Zusammenhang zwischen einer reduzierten Aufnahme von Gluten und einem leicht erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes gezeigt, so Schmucker. Diabetes wiederum sei ein bedeutender Risikofaktor für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. „Insgesamt ist die Evidenz aber von geringer bis sehr geringer Vertrauenswürdigkeit und deshalb kaum geeignet, um daraus Empfehlungen für die Praxis abzuleiten.“
Der Cochrane Review im Detail
Die Autor*innen identifizierten eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) und drei nicht‐randomisierte Studien (Beobachtungsstudien). Die RCT wurde in Italien durchgeführt und umfasste 60 gesunde Erwachsene mit einer Nachbeobachtungszeit von sechs Monaten. Die nicht‐randomisierten Studien umfassten mehr als 450.000 Teilnehmende, die maximale Nachbeobachtungszeit lag bei mehr als 25 Jahren. Der niedrigste Wert (Median) der Glutenaufnahme lag bei 2,6 g/Tag und der höchste Wert bei 9,4 g/Tag. Dabei entspricht 1 g/Tag Glutenaufnahme einer halben Scheibe Weißbrot. In der RCT wurde eine glutenfreie mit einer herkömmlichen Ernährungsweise verglichen.
Ergebnisse
- Stand der Evidenz: Juni 2021.
- Sterblichkeit aufgrund eines kardiovaskulären Ereignisses: Kein Unterschied zwischen hohem und niedrigem Gluten-Konsum erkennbar, basierend auf 3364 Todesfällen unter den Teilnehmenden binnen 26 Jahren. Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE: Niedrig
- Gesamtsterblichkeit: Kein Unterschied erkennbar (basierend auf über 6000 Todesfällen. GRADE: Sehr niedrig)
- Herzinfarkt: Kein Unterschied erkennbar (>4000 Fälle, GRADE: Niedrig)
- Diabetes vom Typ 2: Leicht erhöhtes Risiko (14%) bei glutenarmer Ernährung (ca. 16.000 Fälle, GRADE: niedrig)
- Kurzfristige Effekte in RCT (Blutdruck, LD-Lipoprotein, Körpergewicht): keine klaren Unterschiede nach 6 Monaten, GRADE: sehr niedrig.
Hintergründe in einem Beitrag unserer Kollegen in Österreich auf medizin transparent (von 2016): Glutenfrei für alle?