Interleukin-1-Blocker: Evidenz spricht nicht für deutliche Wirkung bei COVID-19

Molekülstruktur von Anakinra

Auf der Suche nach einer wirksamen Behandlung für COVID-19 werden zahlreiche Medikamente getestet, die bereits zur Behandlung anderer Krankheiten eingesetzt werden. Ein Ansatz ist die medikamentöse Blockierung von Interleukin-1 (IL-1), einem Eiweißbotenstoff, der an der Regulierung des Immunsystems beteiligt ist. Ein neuer Cochrane Review hat die vorhandene Evidenz für solche IL-1-Blocker untersucht.

In einer Immunreaktion erkennt der Körper schädliche Substanzen wie Viren und setzt sich dagegen zur Wehr. COVID-19 kann das Immunsystem aus dem Gleichgewicht bringen, so dass es überreagiert. Nicht das Virus selbst, sondern die überschießende Entzündungsreaktion wird dadurch zur eigentlichen Gefahr für die Patient*innen. Das Protein Interleukin-1 (IL-1) ist einer der Botenstoffe des Körpers, die diese Reaktionen steuern. Ihn zu blockieren könnte die Entzündung theoretisch reduzieren und dem Immunsystem helfen, COVID-19 effektiver zu bekämpfen, so die Hoffnung. Es gibt drei IL-1-Blocker, die bereits aus anderen Anwendungen wie der rheumatoiden Arthritis bekannt sind: die Wirkstoffe Anakinra (Molekülstruktur siehe Bild), Canakinumab und Rilonacept. Dieser Cochrane Review beruht auf der bis Ende 2021 verfügbaren Evidenz.

Das Wichtigste vorab:

  • Insgesamt fanden die Autor*innen keine ausreichende Evidenz dafür, dass Medikamente, die Interleukin-1 (ein an Immunreaktionen beteiligtes Protein) blockieren, wirksame Behandlungen für Menschen mit COVID-19 sind oder ob sie unerwünschte Wirkungen verursachen.
  • Sie identifizierten 16 Studien mit noch unveröffentlichten Ergebnissen. Sobald neue Daten verfügbar sind, werden die Autor*innen den Review aktualisieren.
  • Sie fordern für die Zukunft qualitativ hochwertige Studien zur Bewertung von Interleukin-1-Bockern.

Die Ergebnisse für IL-1-Blocker unterscheiden sich damit von jenen für Medikamente, die das verwandte Zytokin Interleukin-6 blockieren (vgl. Cochrane Review hierzu). Die Ergebnisse beider Reviews unterstützen damit die aktuellen Empfehlungen der deutschen S3-Leitlinie zur stationären Behandlung von COVID-19, die vom Einsatz von Anakinra abraten und eine bedingte Empfehlung für den IL-6-Blocker Tocilizumab aussprechen.

Was war das Ziel des Reviews?

Die Autor*innen des Cochrane Reviews wollten wissen, ob IL-1-Blocker eine wirksame Behandlung für Menschen mit COVID-19 sind, verglichen mit der Standardbehandlung allein oder mit Placebo (wirkstofffreie Scheinbehandlung). Wir interessierten uns insbesondere für die Auswirkungen auf:

  • die Symptome der Patienten
  • die Zahl der Todesfälle
  • (schwere) unerwünschte Wirkungen

Sie  suchten nach Studien, in denen die Wirkung von IL-1-Blockern bei der Behandlung von Menschen mit COVID-19 im Vergleich zur Standardbehandlung allein oder zu Placebo untersucht wurde. Die Studienteilnehmer konnten dabei entweder einen Verdacht auf oder eine bestätigte COVID-19-Erkrankung jeglichen Schweregrads (leicht, mittelschwer oder schwer) haben und beliebigen Alters oder Geschlechts sein. Sie verglichen und fassten die Ergebnisse der Studien zusammen und bewerteten das Vertrauen in die Evidenz nach GRADE, basierend auf Faktoren wie Studienmethoden und -größen.

Ergebnisse

Die Autor*innen fanden sechs Studien mit 2132 Personen. Vier Studien untersuchten Anakinra (1633 Personen) und zwei bewerteten Canakinumab (499 Personen). Zu Rilonacept konnten sie keine abgeschlossenen Studien finden. Die Studienteilnehmer waren in der Regel zwischen 58 und 68 Jahre alt, die meisten waren Männer. Alle Studienteilnehmer befanden sich im Krankenhaus, hauptsächlich mit mäßiger bis kritischer COVID-19. Die Studien waren unterschiedlich groß und umfassten zwischen 45 und 2253 Personen. Zu Beginn der Studien erhielten 67 % bis 100 % der Teilnehmer Sauerstoff, und 0 % bis 33 % waren an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Wir fanden auch 16 Studien, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht wurden.

Anakinra im Vergleich zu üblicher Behandlung und Placebo zur Behandlung von Menschen mit COVID-19

Anakinra führt wahrscheinlich zu einer geringen oder gar keiner Verbesserung von COVID-19-Symptomen (definiert als Verbesserung auf einer klinischen Skala oder Entlassung aus dem Krankenhaus) innerhalb von 28 Tagen nach der Behandlung (drei Studien, 837 Personen), über einen Unterschied nach 60 Tagen waren keine Aussagen möglich (eine Studie, 115 Personen).

Es ist unklar, ob Anakinra die Zahl der Todesfälle 28 Tage nach der Behandlung (zwei Studien, 722 Personen) oder 60 Tage nach der Behandlung (vier Studien, 1633 Personen) beeinflusst.

Anakinra führt wahrscheinlich zu einer geringen oder gar keiner Häufung unerwünschter Wirkungen 28 Tage nach der Behandlung. Es ist unklar, wie es sich auf schwere unerwünschte Wirkungen auswirkt (zwei Studien, 722 Personen).

Canakinumab im Vergleich zu üblicher Behandlung und Placebo zur Behandlung von Patienten mit COVID-19

Canakinumab führt wahrscheinlich zu einer geringen oder gar keiner Verbesserung der COVID-19-Symptome (definiert als Verbesserung auf einer klinischen Skala oder Entlassung aus dem Krankenhaus) nach 28 Tagen nach der Behandlung (zwei Studien, 499 Personen).

Es bleibt unklar, ob Canakinumab die Zahl der Todesfälle 28 Tage nach der Behandlung (zwei Studien, 499 Personen) oder 60 Tage nach der Behandlung (eine Studie, 45 Personen) beeinflusst.

Canakinumab führt wahrscheinlich nur zu einer geringen oder gar keiner Zunahme unerwünschter Wirkungen (eine Studie, 454 Personen). Dieschwerwiegende unerwünschte Wirkungen (zwei Studien, 499 Personen) nach 28 Tagen auswirkt.

Was sind die Limitationen der Evidenz?

Die Aussagekraft der Evidenz ist aus mehreren Gründen begrenzt. Alle Studienteilnehmer waren hospitalisiert, aber einige von ihnen waren schwerer erkrankt als andere. Auch andere Merkmale der einzelnen Studien unterschieden sich teils deutlich.

Wie aktuell sind diese Erkenntnisse?

Stichtag der Literatursuche war der 5. November 2021.


Zum Review Interleukin‐1 blocking agents for treating COVID‐19