Ist es sinnvoll, vor einer Herzoperation Statine einzunehmen?

Die Evidenz für Statine vor der Herz-OP ist noch unzureichend

Statine können nachweislich Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen und die Lebenserwartung verlängern. Aber können sie auch Komplikationen nach einer Herz-OP verhindern. Ein aktuelle Cochrane Review findet keinen klinischen Nutzen für Statine in den ersten dreißig Tagen nach einer Herz-OP. Das liegt an Verbesserungen in der Wissenschaft. 

In den ersten Wochen nach einer Herzoperation treten häufig schwerwiegende Herz-Kreislauf-Ereignisse als Komplikation auf. Deshalb stellt sich die Frage: Hilft es Patient*innen vor einer Herzoperation eine cholesterinsenkende Therapie mit Statinen zu beginnen – falls sie nicht sowieso schon Statine einnehmen?

Ein jetzt aktualisierter Cochrane Review geht dieser Frage nach. Dieser Review hat eine Vorgeschichte, die zeigt, wie sich Evidenz verändern kann, wenn neue, vertrauenswürdigere Studien publiziert werden.

Statine wie Rosuvastatin, Simvastatin und Atorvastatin reduzieren nachweislich den Cholesterinspiegel und das Risiko von Herz-Kreislauf-Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall bei Menschen, bei denen sich infolge eines erhöhten Cholesterinspiegels Ablagerungen in den Gefäßen gebildet haben (Arteriosklerose). 

Im Jahr 2015 legte ein Cochrane Review nahe, dass bei Patient*innen, die vor und direkt nach einer Herzoperation Statine einnahmen, möglicherweise seltener postoperatives Vorhofflimmern auftritt. 

Ein Jahr später griff die große, methodisch hochwertige STICS (Statin Therapy in Cardiac Surgery)-Studie dieses Thema auf und kam zu einem anderen Ergebnis, nämlich dass 20 mg Rosuvastatin pro Tag im Vergleich zu Placebo das Auftreten von Vorhofflimmern nach einer Herzoperation nicht beeinflussen kann [1]. Daraufhin wurde der Cochrane Review zurückgezogen. In den letzten Jahren folgten zwei weitere große RCTs (Randomized controlled trial), die ebenfalls keinen Nutzen von Statinen in diesem Kontext fanden.

Unterschiedliche Ergebnisse weisen auf verbesserte Forschungsprozesse hin 

Ältere und neuere Studien kamen also zu unterschiedlichen Ergebnissen. Daher ist es durchaus konsequent, dass die Cochrane Autor*innen ältere Studien, die weder eine vorab-Registrierung noch ein Votum einer Ethikkommission aufwiesen und vergleichsweise wenig Teilnehmende einschlossen, in der aktuellen Version ihres Reviews nicht berücksichtigten. Denn seit den 2000er Jahren hat sich die Überwachung, prospektive Registrierung und Transparenz klinischer Studien verbessert. Dadurch soll gewährleistet werden, dass Studien verlässlichere Ergebnisse liefern. Ausgewertet wurden jetzt nur noch 8 Studien mit insgesamt 5592 Teilnehmenden, fünf davon neue RCTs, die in der vorherigen Version nicht enthalten waren. Zahlreiche potenziell problematische ältere Studien ohne Registrierung und ohne Votum einer Ethikkommission wurden ausgeschlossen. 

Der aktuelle Review findet im Unterschied zur vorherigen Version nun keine Hinweise für einen kurzfristigen klinischen Nutzen. Das heißt: Statine beeinflussten weder die Sterblichkeit innerhalb der ersten 30 Tage nach der Herz-OP, noch schwerwiegende Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen, Vorhofflimmern oder die Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation und Gesamtdauer des Krankenhausaufenthalts. Gut zu wissen für all jene, die Statine sowieso regelmäßig einnehmen: Schädliche Auswirkungen von Statinen traten in der Phase rund um eine Herzoperation aber auch nicht auf.

Noch immer viele Fragen 

Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz stufen die Cochrane Autor*innen allerdings auch jetzt für den Endpunkt „Vorhofflimmern im Zeitraum bis 30 Tage nach der OP“ als niedrig ein. Das liegt auch daran, dass allgemeingültige Schlüsse schwierig sind, da die Studien unterschiedliche Statine, in unterschiedlichen Dosierungen und mit verschiedenen Behandlungsprotokollen untersuchten. Eine Restunsicherheit bleibt daher, auch weil die Ergebnisschätzung für die meisten Endpunkte nicht sehr präzise war, d.h. die 95%-Konfidenzintervalle umfassten einen breiten Wertebereich mit sehr unterschiedlichen möglichen Bedeutungen für die klinische Anwendung.

Was problematische Studien und deren Einfluss auf systematische Reviews anbelangt, so hat Cochrane das Problem erkannt [2]. Derzeit gibt es allerdings keine zuverlässige Methode, um problematische Studien zu erkennen, wenn sie nicht nachträglich durch eine Korrektur in einer Veröffentlichung als solche identifiziert werden. In einem laufenden Projekt wird derzeit ein Instrument zur Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von RCTs in systematischen Übersichtsarbeiten (INSPECT-SR Tool: INveStigating ProblEmatic Clinical Trials in Systematic Reviews [3]) erarbeitet.

Zur deutschen, laienverständlichen Zusammenfassung des Reviews

Zum begleitenden Editorial zu diesem Review


[1] https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa1507750

[2] https://www.cochranelibrary.com/cdsr/editorial-policies#problematic-studies

[3] https://bmjopen.bmj.com/content/14/3/e084164