Wenn eine Geburt künstlich eingeleitet werden muss, kommen verschiedene Medikamente in Frage. Ein neuer Cochrane Review vergleicht nun die orale Einnahme des Wirkstoffes Misoprostol mit den gängigsten Alternativen. Er kommt zu dem Schluss, dass niedrig dosiertes Misoprostol vermutlich das günstigste Verhältnis von Wirksamkeit und Risiken hat. Diese Ergebnisse sind insbesondere im Hinblick auf die anhaltende Debatte um die Sicherheit von Misoprostol wichtig.
Ist der errechnete Geburtstermin deutlich überschritten oder drohen medizinische Komplikationen, so raten Ärzte und Ärztinnen Schwangeren oft zur Einleitung der Geburt . Geburtseinleitungen sind keine Seltenheit: In Deutschland wird jede fünfte Geburt eingeleitet, in anderen Ländern wie Großbritannien ist der Anteil noch höher.
Eine Einleitung der Geburt kann lebensrettend für Mutter oder Kind sein, sie birgt aber auch Risiken(siehe auch diese News). Zum Einsatz kommen dafür meist künstliche Hormone wie der Wirkstoff Misoprostol, welche die Wehentätigkeit der Gebärmutter anregen. Insbesondere hoch dosierte Medikamente können eine Überstimulation mit extrem starken und anhaltenden Wehen auslösen. Dadurch kann es zu einer Sauerstoff-Unterversorgung des Kindes oder gar einem Riss der Gebärmutter kommen - um dies abzuwenden, bleibt oft nur ein Not-Kaiserschnitt. Bei der Wahl der Einleitungsmethode kommt es daher darauf an, eine gute Balance von gewünschter Wirkung (also effektiven Wehen) und der Vermeidung einer Überstimulation zu finden. Eine wichtige Rolle spielen aber auch die Präferenzen der werdenden Mutter.
Ein neuer Cochrane Review führt nun die Evidenz zum Einsatz von oral verabreichten Misoprostol in niedriger Dosierung (maximal 50 Mikrogramm) zusammen. In den Studien wurde dieser weit verbreitete Wehenauslöser mit einer Reihe gängiger Alternativen (Dinoproston; Wehentropf mit Oxytocin; mechanische Verfahren) oder mit Placebo verglichen. Ein weiterer Vergleich galt der Einnahme von Misoprostol (oral) gegenüber einer Verabreichung über die Scheide (vaginal).
61 Studien, 20.000 Teilnehmerinnen
Die Autoren des Reviews wollten vor allem wissen, wie sich die Methode der Einleitung auf den Anteil der natürlichen vaginalen Geburten binnen 24 Stunden, die Rate von Kaiserschnitten und die Zahl von Überstimulationen mit erniedrigter Pulsrate des Babys auswirkt. Sie fanden 61 Studien mit mehr als 20.000 Teilnehmerinnen, die eine ganze Reihe von Vergleichen beinhalteten (z.B. orales Misoprostol im Vergleich zu Placebo, vaginalem Dinoproston, intravenösem Oxitocin oder vaginalem Misoprostol). Die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse schätzten die Autoren nach dem GRADE-System je nach Vergleich als moderat oder niedrig, zum Teil auch als sehr niedrig ein.
Die Ergebnisse sind aufgrund der zahlreichen Einzelvergleiche komplex. Zusammenfassend kommen die Autoren auf Basis aller Ergebnisse aber zu einem recht deutlichen Fazit: „Die beste verfügbare Evidenz spricht dafür, dass niedrig dosiertes, oral eingenommenes Misoprostol viele Vorteile gegenüber anderen Methoden der Geburtseinleitung hat.“ So zeitigt Misoprostol sogar etwas bessere Resultate als vaginal verabreichtes Dinoproston, das oft als „Goldstandard“ der Geburtseinleitung gehandelt wird: Inbesondere in besonders niedrigen Dosierungen bis 25 Mikrogramm führt es wahrscheinlich zu weniger Kaiserschnitten und möglicherweise (unsichere Evidenz) zu weniger Überstimulationen als Dinoproston, bei gleichzeitig ähnlich guter Wehenauslösung.
Eine Frage der Dosis
Zu den durch die vorliegende Evidenz noch nicht befriedigend geklärten Fragen gehört jene nach der optimalen Dosierung von oralem Misoprostol. Einzeldosen von mehr als 50 Mikrogramm sind nach Ansicht der Autoren auf jeden Fall zu riskant – sie wurden in diesem Review deshalb erst gar nicht berücksichtigt. Trotz des noch bestehenden Forschungsbedarfs kommen die Autoren aber zu dem Schluss, dass eine anfängliche Dosis in der Größenordnung von 25 Mikrogramm vermutlich eine gute Balance zwischen Wirksamkeit und Sicherheit biete.
Besonders interessant sind die Ergebnisse dieses Reviews hinsichtlich der Debatte um die Sicherheit des Einsatzes von Misoprostol in der Geburtshilfe. In der Praxis wird dafür nämlich oft das eigentlich für Magengeschwüre zugelassene Misoprostol-Präparat Cytotec genutzt, ein sehr preiswertes Medikament, das seit 1986 auf dem Markt ist. Ein solcher Off Label Use ist an sich nichts Ungewöhnliches. Allerdings enthält eine Tablette Cytotec 200 Mikrogramm Misoprostol, also das achtfache der von den Review-Autoren empfohlenen Einzeldosis. Das erschwert die korrekte Dosierung und hat möglicherweise zu Fällen von Überdosierungen und gefährlichen Überstimulierungen geführt. Anfang des Jahres 2020 lösten Medienberichte über solche Vorfälle in Deutschland eine umfangreiche Debatte über die Sicherheit von Cytotec bzw. des darin nethaltenen Wirkstoffs Misoprostol aus. Der aktuelle Review legt nahe, dass die in den Berichten vermutete Häufung von Überstimulationen eher mit Anwendungsfehlern (d.h. Überdosierungen) zu tun hat, als mit dem Risikoprofil von niedrig dosiertem Misoprostol per se.
Der neue Review: Low‐dose oral misoprostol for induction of labour
Kerr RS, Kumar N, Williams MJ, Cuthbert A, Aflaifel N, Haas DM, Weeks AD. Low‐dose oral misoprostol for induction of labour. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 6. Art. No.: CD014484. DOI: 10.1002/14651858.CD014484.
Zur Stellungnahme von Cochrane Deutschland zur Berichterstattung zu Cytotec (Februar 2020)