Unveröffentlichte Studienergebnisse gefährden die evidenzbasierte Gesundheitsversorgung
Zusammenfassung:
- Die Ergebnisse beispielsweise von etwa einem Drittel aller von Deutschen Universitätskliniken geleiteten klinischen Studien bleiben unveröffentlicht. Dies führt zu einem verzerrten Gesamtbild der Evidenz und kann letztlich zu schlechteren Behandlungen führen.
- Die Nichtveröffentlichung von Studienergebnissen unterläuft das Vertrauen von Studienteilnehmer*innen, die zum medizinischen Fortschritt beitragen wollen.
- Forschungsgelder für Studien, die nicht veröffentlicht werden, werden verschwendet (Research Waste).
- Für die klinische Forschung zu Arzneimitteln und Medizinprodukten wurde dieses Problem durch gesetzliche Veröffentlichungspflichten bereits in Teilen gelöst. Für klinische Studien mit anderen Interventionen (z.B. aus Chirurgie, Zahnheilkunde, Psychotherapie) bleibt das Problem der Nichtveröffentlichung bestehen.
- Die Veröffentlichung einer Zusammenfassung von Studienergebnissen (Summary Results) in einem Register innerhalb eines Jahres nach Studienende, wie dies auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert, spricht nicht gegen die spätere Veröffentlichung von Studienergebnissen in einem begutachteten Fachartikel.
- Für ein effizientes Monitoring benötigt Deutschland eine zentrale Zusammenführung aller von Ethikkommissionen begutachteten klinischen Studien. Die Veröffentlichung der Studienergebnisse muss nachverfolgt und bei Bedarf eingefordert werden.
- Wir fordern, entsprechende Rahmenbedingungen für eine vollständige Studienregistrierung und Ergebnisveröffentlichung in Deutschland zu schaffen.
1. Was ist das Problem?
Die Erforschung von neuen diagnostischen und therapeutischen Verfahren in klinischen Studien liefert die Grundlage für eine patientenorientierte, wirksame und effiziente Medizin auf Basis wissenschaftlicher Evidenz. Allerdings werden die Ergebnisse von einem großen Teil aller klinischen Studien nie publiziert. Zum Beispiel waren die Ergebnisse für rund ein Drittel der klinischen Studien, die zwischen 2014 und 2017 an deutschen Universitätskliniken durchgeführt wurden, fünf Jahre nach Studienabschluss noch immer nicht veröffentlicht [1].
Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung erfordert die Kenntnis des aktuellen Wissensstands der Forschung. Dies ist nur möglich, wenn die Ergebnisse von klinischen Studien zeitnah und umfassend veröffentlicht werden und allgemein zugänglich sind.
Fehlende Studienergebnisse verzerren das Gesamtbild der Evidenz. Eine verzerrte Evidenzgrundlage kann zu Fehlentscheidungen führen und letztlich negative Auswirkungen auf Patient*innen haben. Darüber hinaus wird durch die Nicht-Veröffentlichung von Ergebnissen das Vertrauen von Studienteilnehmer*innen unterlaufen. Diese erwarten, dass sie zur Generierung neuer Erkenntnisse und damit zum Fortschritt der Medizin beitragen [2]. Sie akzeptierten dafür Zeitaufwand, weitere Belastungen wie Blutentnahmen und möglicherweise Risiken durch die untersuchten Interventionen.
Forschungsgelder für Studien, die nicht veröffentlicht werden, sind verschwendete Mittel (Research Waste). Als Grund für die Nicht- Veröffentlichung von Ergebnissen geben Forscher*innen u.a. auch mangelndes Interesse von Fachzeitschriften an „negativen“ Ergebnissen an [3]. Doch existieren durchaus andere Publikationsmöglichkeiten (siehe Kasten). Es ist essentiell, auch „negative“ Ergebnisse zu kennen, ebenso wie Informationen zu abgebrochenen oder vorzeitig beendeten Studien zu haben, um beispielsweise künftige Studien besser planen zu können.
Mögliche Veröffentlichungsformate
Das Argument, dass die Veröffentlichung von Ergebnissen innerhalb von 12 Monaten unrealistisch sei, da diese Zeit nicht für eine begutachtete Zeitschriften-Publikation ausreiche, lässt sich durch den Verweis auf andere Veröffentlichungsformate entkräften: Zusammenfassungen können in Studienregistern (Summary Results) hinterlegt werden, wie es für Studien zu Arzneimitteln und Medizinprodukten bereits gesetzlich verpflichtend ist. Das ist mit einer späteren Veröffentlichung als begutachteter Artikel (Peer Review) in einer Fachzeitschrift vereinbar [6]. Auch eine Vorabveröffentlichung als sogenannter Preprint ist den Empfehlungen des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) folgend in den meisten Fällen möglich [6].
2. Wie ist die Situation in Deutschland?
In Deutschland begutachten Ethikkommissionen und Behörden – anhand von Studienregistereinträgen geschätzt – jährlich mehr als 1.000 interventionelle klinische Studien. Die Registrierung von Studien und die Offenlegung ihrer Ergebnisse hat – auch durch politisch-medialen Druck – bereits große Fortschritte gemacht [4]. Doch noch immer gibt es zahlreiche abgeschlossene Studien, deren Ergebnisse nicht öffentlich zugänglich gemacht wurden.
Der Umfang des Problems ist enorm: Im oben genannten Beispiel [1] hatten an den 188 Studien, deren Ergebnisse auch fünf Jahre nach Studienabschluss noch nicht veröffentlicht waren, mehr als 21.000 Patient*innen teilgenommen. Die Kosten für diese Studien lagen schätzungsweise im dreistelligen Millionenbereich.
Die EU hat bereits rechtliche Grundlagen für die prospektive Registrierung und die Veröffentlichung von Zusammenfassungen von Studienergebnissen bei klinischen Prüfungen zu Arzneimitteln (EU-Verordnung 536/2014) und bestimmten Medizinprodukten wie z. B. Stents oder Herzschrittmachern (EU-Verordnung 745/2017) geschaffen. Rechtlich noch nicht ausreichend geregelt sind jedoch Studien zu vielen weiteren Interventionen, die z. B. in der Chirurgie, Zahnheilkunde oder Psychotherapie durchgeführt werden und nicht unter die oben genannte Gesetzgebung fallen.
3. Was sind die notwendigen Schritte?
Die Registrierung in einem von der WHO akkreditierten Studienregister und eine zeitnahe Ergebnisveröffentlichung innerhalb von 12 Monaten nach Studienende müssen gemäß Artikel 35 und 36 der Deklaration von Helsinki und der Vorgaben der WHO für sämtliche prospektiven, interventionellen klinischen Studien gesetzliche Pflicht werden. Im Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) ist eine Pflicht zur Registrierung und Publikation für Forschung mit Patient*innendaten aus der Versorgung (Gesundheitsdaten) festgelegt. Die Gründe hierfür gelten im Sinne der Deklaration von Helsinki in gleichem Maße für klinische Studien. Es gibt aber bislang keine gesetzliche Regelung, die die Registrierung und Ergebnisveröffentlichung für alle in Deutschland durchgeführten klinischen Studien einfordert. Das könnte über das derzeit als Entwurf vorliegende Medizinforschungsgesetz (MFG) erfolgen.
Die notwendigen Schritte zur Lösung des Problems würden kaum zusätzliche Ressourcen erfordern:
Registrierung und zentrale Übersicht von Studien: Ethikkommissionen sollten stärker auf eine frühzeitige und vollständige Registrierung aller klinischen Studien in einem geeigneten Studienregister (z. B. DRKS, CT.gov) hinwirken und darüber hinaus Daten für eine zentrale Zusammenführung zur Verfügung stellen (im besten Falle automatisiert).
Monitoring des Registereintrags und der Veröffentlichung: Die Studienverantwortlichen sollten regelmäßig (im besten Falle automatisiert) an ihre Pflicht zur Aktualisierung des Studienregister-Eintrags und an eine fristgemäße Veröffentlichung der Studienergebnisse erinnert werden.
Prüfung von Anreizen und Sanktionen: Forschungsförderer, Universitäten und/oder Ethikkommissionen sollten spezifische Anreize und Druckmittel in Erwägung ziehen, z. B. durch Berücksichtigung des bisherigen Veröffentlichungsverhaltens bei Begutachtung von Förder- oder Ethikanträgen sowie der Leistungsorientieren Mittelvergabe (LOM) oder Auszahlung einer Restsumme der Förderung erst bei Veröffentlichung von Zusammenfassungen von Studienergebnissen.
Wir fordern das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf, entsprechende Rahmenbedingungen für eine vollständige Studienregistrierung und Ergebnisveröffentlichung in Deutschland zu schaffen und eine gesetzliche Regelung vorzuschlagen. Das Bündnis Transparenz in der Gesundheitsforschung steht für die Entwicklung von Lösungsansätzen beratend zur Verfügung.
Wer wird sind
Dieses Positionspapier wurde vom Bündnis Transparenz in der Gesundheitsforschung verfasst. In diesem Bündnis arbeiten Cochrane Deutschland, Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin, HTA.de und BIH Quest Center zusammen. Beteiligte Autor*innen sind: Till Bruckner, Valérie Labonté (Cochrane Deutschland), Jörg Meerpohl (Cochrane Deutschland), Stephanie Müller-Ohlraun (BIH QUEST Center), Matthias Perleth (HTA.de), Georg Rüschemeyer (Cochrane Deutschland), Stefan Sauerland (EbM-Netzwerk), Susanne Schorr (BIH QUEST Center) und Daniel Strech (BIH QUEST Center).
Dieses Positionspapier wird unterstützt von
|
|
|
|
|
|
|
|
Kontakt
Quellen
[1] Riedel N, Wieschowski S, Bruckner T, Holst MR, Kahrass H, Nury E, Meerpohl JJ, Salholz- Hillel M, Strech D. Results dissemination from completed clinical trials conducted at German university medical centers remained delayed and incomplete. The 2014 -2017 cohort. J Clin Epidemiol. 2022 Apr;144:1-7. doi: 10.1016/j. jclinepi.2021.12.012. Epub 2021 Dec 11.
[2] Hamilton DG, Everitt S, Page MJ, Vazire S, Fidler F. Attitudes of people living with cancer towards trial non-publication and research participation. BMJ Evid Based Med. 2024 Jan 19;29(1):64-66. doi: 10.1136/ bmjebm-2023-112456.
[3] Scherer RW, Ugarte-Gil C, Schmucker C, Meerpohl JJ. Authors report lack of time as main reason for unpublished research presented at biomedical conferences: a systematic review. J Clin Epidemiol. 2015 Jul;68(7):803-10. doi: 10.1016/j.jclinepi.2015.01.027. Epub 2015 Feb 13.
[4] Franzen D, Carlisle B, Salholz-Hillel M, Riedel N, Strech D. Institutional dashboards on clinical trial transparency for University Medical Centers: A case study. PLoS Med. 2023. Mar 21;20(3):e1004175. doi: 10.1371/journal.pmed.1004175.
[5] WHO 2017: Joint statement on public disclosure of results from clinical trials; https://www.who.int/news/item/18-05-2017-joint-statement-on-registration.
[6] ICMJE: https://www.icmje.org/recommendations/browse/publishing-and-editorial-issues/overlapping-publications.html.